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SG 7/2015
SG 7/2015
C O N S U L T I N G
C O N S U L T I N G
P
flichterfüllung ist ein preußisches
Ideal aus dem Obrigkeitsstaat
des 18. Jahrhunderts. Es ent-
stand aus dem militärischen Denken
jener Zeit – eine Maxime für jeden,
der im Sold des Königs stand, ob
als Soldat, als Verwalter oder Hof-
bediensteter. Hinter dem Ideal muss
man sich einen Herrscher vorstellen,
der fest davon überzeugt war, dass
Gott ihn dazu berufen hat, das Reich
zu erhalten, zu verbessern, zu pflegen.
Da müssen die Bürger mitwirken, die
der Herrscher als seine Geschöpfe be-
trachtet. Pflichterfüllung ist deswegen
eine „Tugend”, wie man noch heute
sagt, eine uneingeschränkte Haltung
der Hingabe und des Gehorsams,
auch des blinden Gehorsams.
Immanuel Kant riskierte seinerzeit
den Bruch mit seinem König Friedrich
Wilhelm II, als er erklärte, dass jeder
Bürger in erster Linie dem eigenen
Wissen und Gewissen folgen müsse.
Das eigene Verhalten könne zum
Bestandteil eines Gesetzes werden,
das für die ganze Menschheit gültig
sein müsste. Der Preußenkönig ver-
wehrte daraufhin Kant den Weg von
Königsberg in die Hauptstadt. Bis
heute steht Pflichterfüllung sehr weit
oben unter den „Werten” der Gesell-
schaft. Unter Staatsdienern gilt oft
heute noch „die verdammte Pflicht
und Schuldigkeit”, die der alte Fritz,
Kaiser FriedrichWilhelm II, einforderte.
Nun ist es aber so, dass dieWissen-
schaft zuweilen auch sehr alten und
beliebten Spielregeln widersprechen
muss. In den Arbeitswissenschaften
zum Beispiel findet man den Begriff
Pflichterfüllung kaum mehr. Der
Grund dafür ist einfach: Der emanzi-
pierte Bürger und genauso der Mitar-
beiter im Betrieb sehen in Regierung
und Betriebsleitung schon lange nicht
mehr den Repräsentanten eines gött-
lichen Willens. Die Regierung wird
gewählt. Und der Arbeitgeber ist zum
Vertragspartner des Arbeitnehmers
Pflichterfüllung oder Motivation
Neue Erkenntnisse darüber, wie das Leistungspotenzial der Mitarbeiter zu steigern
ist und welche Faktoren die Menschen dazu bringen, lediglich zu gehorchen
geworden. Es geht nicht mehr um
eine obrigkeitsdefinierte einseitige
Pflicht, sondern um ein gegenseitiges
Verhalten zwischen Vertragspartnern.
Arbeitsrecht und Betriebsverfassungs-
gesetz regeln heute, was früher
allein in gehorsamer Pflichterfüllung
zu leisten war.
Pflichterfüllung und Gehorsam
werden zum alten Eisen geworfen
Natürlich sollte die Wissenschaft jetzt
aber erklären können, was dann den
Beschäftigten antreibt, wenn Pflicht-
erfüllung und Gehorsam zum alten
Eisen geworfen werden müssen. Dieser
rätselhafte Antrieb bekam bereits im
19. Jahrhundert z. B. von AdamSmith,
aber auch von seinem Zeitgenossen
Kant einen gelehrten Namen. Umden
Antrieb zu Arbeit ganz sicher von den
Trieben zur Fortpflanzung, zur Nah-
rungsaufnahme oder zum Schlaf zu
unterscheiden, nannte man den
Arbeitsantrieb daher „Motivation”.
Seither sind viele Jahrzehnte an Beob-
achtung und Forschung ins Land
gegangen, um Erklärungen dafür zu
finden, warum Menschen arbeiten –
warum sie also Tätigkeiten ausüben,
die ihnen vielleicht nicht einmal Spaß
machen, die möglicherweise sogar
anstrengend und gefährlich sind.
Als Psychologe muss ich zu-
geben, dass in diesem Punkt, im
Erklären der Arbeits- oder Leistungs-
motivation, viele Nichtpsychologen
der streng wissenschaftlich ausgerich-
teten Psychologie den Publikums-
rang abgelaufen haben. So nannte
Abraham Maslow seine Lebenslehre
„Humanismus“, weil er denMenschen
in den Mittelpunkt seiner Selbst-
verwirklichungslehre stellte. Zwar ist
seine eigenartige Bedürfnispyramide
nie wissenschaftlich belegt oder
bewiesen worden. Trotzdem ist sie
wegen ihrer Einfachheit und Plausi-
bilität bei Laien sehr beliebt.
Und bestimmt hat der eine oder
andere schon von einem der heute
gern so genannten Motivationstrainer
gehört – durchwegs Autodidakten,
die alle möglichen Arten von Vor-
bildung mitbringen – außer eben
arbeitspsychologische Fachkenntnis.
Das Wort war gut gewählt. Den
technischen Antrieb nannte man
schon lange vor dem 19. Jahrhundert
Motor. Das ist abgeleitet als „Täterbe-
zeichnung“ von movere, etwas bewe-
gen. Und motivare ist eine lateinische
Intensiv-Form. Motivation ist also so-
zusagen der Zustand lebhafter Bewe-
gung. Zur Wortfamilie gehört auch
das Motiv. Das ist der Grund oder die
Ursache der Bewegung. Der flotte
Klang des Wortes Motiv brachte es
mit sich, dass man sich kaum daran er-
innern mag, dass Motiv auf gut
Deutsch „Beweggrund” heißt.
Hochmotivierter Mitarbeiter ist oft
kein bequemer Zeitgenosse
Wenn man mit dieser schlichten
Kenntnis nun die heutigen Wort
bildungen überprüft, kommt man zu
interessanten Aufschlüssen:
•
Motivationstrainer ist jemand, der
den Zustand lebhafter Bewegung
trainiert
•
Ein Motivationsgespräch soll uns in
den Zustand lebhafter Bewegung
bringen
•
Motivationstechnik ist ein Ver-
fahren, das jemanden in lebhafte
Bewegung versetzt
Man ahnt schon, dass der erhoffte
hochmotivierteMitarbeiter, der sich in
lebhaftester Bewegung befindet,
auch nicht gerade ein bequemer Zeit-
genosse sein wird. Soviel immerhin
wissen wir: Der Mensch ist ein Flucht-
tier. Am leichtesten und nachhaltigs-
ten werden wir in Bewegung versetzt,
wenn wir einen Grund zur Flucht
haben. Nur ungern bekennt sich die
Wissenschaft dazu, dass freundliches
Zureden, Streicheleinheiten und das
Vermitteln von Wohlgefühl eher nicht
zu lebhafter Bewegung führen, son-
dern normalerweise viel eher zum
genauen Gegenteil. Deswegen hält
sich die Arbeitspsychologie hier meis-
tens etwas zurück und spricht lieber
über dieMöglichkeiten einermenschen-
freundlichen Beziehung zwischen Vor-
gesetzten und Mitarbeiter. Allerdings
erklärt Fred Edward Fiedler, einer der
führenden Industrie- und Organisa
tionspsychologendes 20. Jahrhunderts,
ungerührt: Motivation ist die zwangs-
läufige Folge einer auf Leistung aus-
gerichteten Gruppensituation.
Motivation beginnt
mit der Aktivation
Um sich von all den wirren Moti-
vationslehren abzusetzen und den
Weg zum experimentellen Beweis zu
öffnen, sprechen wir heute von Akti-
vation – auf den ersten Blick nur ein
neues Etikett, tatsächlich aber eine
wissenschaftliche Grenzziehung. Das
Experiment beruht auf Beobachtung.
So lässt sich beobachten, dass ein
Spargelstecher – um eine wenig an-
gesehene und mühsame Tätigkeit zu
nennen –, der außer Sichtweite der
anderen Spargelstecher arbeitet,
deutlich langsamer und nachlässiger
vorgeht, als ein anderer, der in einer
Gruppe von vier oder fünf weiteren
Spargelstechern auf dem Feld steht.
Bei nahezu allen Tätigkeiten ist das
ähnlich. Je komplexer eine Tätigkeit
ist, desto schwieriger wird zwar das
Beobachten. Dennoch lässt sich der
Aktivationseffekt der Gruppe sogar
in Forschungstätigkeiten beobachten.
ModerneWissenschaftsorganisationen
nutzen diesen Effekt sogar ganz
gezielt, wenn sie Cluster bilden, inter-
nationale Vergleiche fördern oder
Vereinigungen etablieren.
Fiedler konnte zeigen, dass bereits
die Anwesenheit nur einer einzigen
zweiten Person in ähnlicher Tätigkeit
die Leistung steigert. Jede weitere
Person steigert und stabilisiert die
Leistung – bis dann ab sechs oder
sieben Personen dieser Effekt ins
Gegenteil umschlägt. Die Pro-Kopf-
Leistung einer zwölfköpfigen Gruppe
liegt tatsächlich bei nur etwa 70 Pro-
zent der durchschnittlichen Pro-Kopf-
Leistung einer fünfköpfigen Gruppe.
Wer also isolierte Einzelarbeitsplätze
plant oder Leistungseinheiten von
mehr als sechs oder sieben Mitarbei-
tern, der verzichtet wohl oder übel auf
rund 30 Prozent des tatsächlichen
Leistungspotenzials.
Unter solchen Bedingungen ent-
fällt zwangsläufig das sogenannte
Ranking – beim Einzelarbeitsplatz
mangels Vergleichsmöglichkeiten und
bei der überdimensionierten Gruppe
aufgrund des Überangebotes an Ver-
gleichsmöglichkeiten. Das Leistungs-
potenzial des Mitarbeiters kann man
also nicht ausschöpfen durch gutes
Zureden, durch Feuerlauf oder Nacht-
märsche, sondern allein durch den
richtigen Gruppenzuschnitt, so lautet
die schlichte Erkenntnis. Das Zusam-
menstellen von Leistungseinheiten
liegt nun aber häufig in der Direktions
befugnis der obersten Leitung.
Wenn die Leistungseinheit sach
gerecht aufgestellt wurde, ist die
Leistung aber auch noch weiter stei-
gerbar – wenn auch meistens nur um
wenige Prozentpunkte. Diese Zusatz-
steigerung ist die Chance des unmit-
telbaren Leiters, des Vorgesetzten
oder wie immer man den Gruppen-
chef nennen mag. Seine leistungsstei-
gernde Wirkung liegt allein darin,
dass er das Ranking seiner Gruppe er-
leichtern und steuern kann. Er plaka-
tiert die erwünschten Leistungsmerk-
male durch Information und Instruk
tion. Er setzt sich mit den Ergebnissen
seiner Mitarbeiter auseinander und
bestätigt das Richtige oder bemän-
gelt das Falsche. Er kontrolliert also
und fördert dadurch die natürliche
Bereitschaft der Mitarbeiter einer
nicht zu großen Gruppe, sich mit-
einander zu vergleichen und einen
Rangplatz in der Gruppe zu sichern.
Um Information, Instruktion und
Kontrolle gewährleisten zu können,
kennt er die Tätigkeitsabläufe, hat die
Arbeitsschritte in Ablaufbeschrei-
bungen hinterlegt und weiß deswe-
gen, worauf er achten sollte. Arbeits-
ablaufbeschreibungen sind also ein
wichtiges Instrument. Und dies ist um-
so unverzichtbarer, je komplexer die
Tätigkeiten sind. Sie beschreiben und
definieren alle Haupttätigkeiten der
Mitarbeiter in Schrittfolge, hinsichtlich
der zu beteiligenden Personen/Leis-
tungseinheiten, der Arbeitsmittel und
der Qualitätsmerkmale. Aber auch
hier hat die oberste Leitung allein
das Recht, organisatorische Entschei-
dungen zu treffen – und gegebenen-
falls auch zu delegieren.
Motivation ist ein
Potenzial der Organisation
Viel zu wenige betriebliche Leiter
wissen konkret, was das Wort Organi-
sation eigentlich bedeutet. Das legale
wie auch das illegale Beschaffen wird
als organisieren bezeichnet, genauso
aber das erfolgreiche Planen und
Vorbereiten eines Vorhabens. Die
Mafia wird genauso als Organisation
bezeichnet wie die EDV oder gar der
Vertrieb. Tatsächlich bedeutet Orga-
nisation das „Zusammenstellen von
Menschen zu einer Leistungseinheit“.
Organon ist das Wort für Werkzeug.
Deswegen wurde bereits vor rund
500 Jahren das Wort Organisation be-
nutzt, wenn sich Herrscher aus Men-
schen ein Werkzeug schaffen wollten.
Meist ging es wahrscheinlich um das
Zusammenstellen von Soldaten zu ei-
ner Kampfeinheit. Aber auch imStein-
bruch, auf der Werft oder imHochbau
kannte und nannte man es Organisa-
tion. Man sprach ausdrücklich von der
Kunst der Organisation. Heute ist es
dem Genie der obersten Leitung zu-
zurechnen, wenn sie erkennt, wo das
Erfolgspotenzial Mitarbeiter liegt.
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www.maasberatung.deRüdiger Maas
Diplompsychologe Rüdiger Maas ist
Geschäftsführer der Maas Beratungsgesell-
schaft mbH in Augsburg und Berlin. Das
Unternehmen bietet professionelle Beratung
für Unternehmen sowie Coaching und
Mediation für Mitarbeiter und Führungskräfte.