Background Image
Table of Contents Table of Contents
Previous Page  54-55 / 60 Next Page
Basic version Information
Show Menu
Previous Page 54-55 / 60 Next Page
Page Background

54

55

SG 7/2015

SG 7/2015

C O N S U L T I N G

C O N S U L T I N G

P

flichterfüllung ist ein preußisches

Ideal aus dem Obrigkeitsstaat

des 18. Jahrhunderts. Es ent-

stand aus dem militärischen Denken

jener Zeit – eine Maxime für jeden,

der im Sold des Königs stand, ob

als Soldat, als Verwalter oder Hof-

bediensteter. Hinter dem Ideal muss

man sich einen Herrscher vorstellen,

der fest davon überzeugt war, dass

Gott ihn dazu berufen hat, das Reich

zu erhalten, zu verbessern, zu pflegen.

Da müssen die Bürger mitwirken, die

der Herrscher als seine Geschöpfe be-

trachtet. Pflichterfüllung ist deswegen

eine „Tugend”, wie man noch heute

sagt, eine uneingeschränkte Haltung

der Hingabe und des Gehorsams,

auch des blinden Gehorsams.

Immanuel Kant riskierte seinerzeit

den Bruch mit seinem König Friedrich

Wilhelm II, als er erklärte, dass jeder

Bürger in erster Linie dem eigenen

Wissen und Gewissen folgen müsse.

Das eigene Verhalten könne zum

Bestandteil eines Gesetzes werden,

das für die ganze Menschheit gültig

sein müsste. Der Preußenkönig ver-

wehrte daraufhin Kant den Weg von

Königsberg in die Hauptstadt. Bis

heute steht Pflichterfüllung sehr weit

oben unter den „Werten” der Gesell-

schaft. Unter Staatsdienern gilt oft

heute noch „die verdammte Pflicht

und Schuldigkeit”, die der alte Fritz,

Kaiser FriedrichWilhelm II, einforderte.

Nun ist es aber so, dass dieWissen-

schaft zuweilen auch sehr alten und

beliebten Spielregeln widersprechen

muss. In den Arbeitswissenschaften

zum Beispiel findet man den Begriff

Pflichterfüllung kaum mehr. Der

Grund dafür ist einfach: Der emanzi-

pierte Bürger und genauso der Mitar-

beiter im Betrieb sehen in Regierung

und Betriebsleitung schon lange nicht

mehr den Repräsentanten eines gött-

lichen Willens. Die Regierung wird

gewählt. Und der Arbeitgeber ist zum

Vertragspartner des Arbeitnehmers

Pflichterfüllung oder Motivation

Neue Erkenntnisse darüber, wie das Leistungspotenzial der Mitarbeiter zu steigern

ist und welche Faktoren die Menschen dazu bringen, lediglich zu gehorchen

geworden. Es geht nicht mehr um

eine obrigkeitsdefinierte einseitige

Pflicht, sondern um ein gegenseitiges

Verhalten zwischen Vertragspartnern.

Arbeitsrecht und Betriebsverfassungs-

gesetz regeln heute, was früher

allein in gehorsamer Pflichterfüllung

zu leisten war.

Pflichterfüllung und Gehorsam

werden zum alten Eisen geworfen

Natürlich sollte die Wissenschaft jetzt

aber erklären können, was dann den

Beschäftigten antreibt, wenn Pflicht-

erfüllung und Gehorsam zum alten

Eisen geworfen werden müssen. Dieser

rätselhafte Antrieb bekam bereits im

19. Jahrhundert z. B. von AdamSmith,

aber auch von seinem Zeitgenossen

Kant einen gelehrten Namen. Umden

Antrieb zu Arbeit ganz sicher von den

Trieben zur Fortpflanzung, zur Nah-

rungsaufnahme oder zum Schlaf zu

unterscheiden, nannte man den

Arbeitsantrieb daher „Motivation”.

Seither sind viele Jahrzehnte an Beob-

achtung und Forschung ins Land

gegangen, um Erklärungen dafür zu

finden, warum Menschen arbeiten –

warum sie also Tätigkeiten ausüben,

die ihnen vielleicht nicht einmal Spaß

machen, die möglicherweise sogar

anstrengend und gefährlich sind.

Als Psychologe muss ich zu-

geben, dass in diesem Punkt, im

Erklären der Arbeits- oder Leistungs-

motivation, viele Nichtpsychologen

der streng wissenschaftlich ausgerich-

teten Psychologie den Publikums-

rang abgelaufen haben. So nannte

Abraham Maslow seine Lebenslehre

„Humanismus“, weil er denMenschen

in den Mittelpunkt seiner Selbst-

verwirklichungslehre stellte. Zwar ist

seine eigenartige Bedürfnispyramide

nie wissenschaftlich belegt oder

bewiesen worden. Trotzdem ist sie

wegen ihrer Einfachheit und Plausi-

bilität bei Laien sehr beliebt.

Und bestimmt hat der eine oder

andere schon von einem der heute

gern so genannten Motivationstrainer

gehört – durchwegs Autodidakten,

die alle möglichen Arten von Vor-

bildung mitbringen – außer eben

arbeitspsychologische Fachkenntnis.

Das Wort war gut gewählt. Den

technischen Antrieb nannte man

schon lange vor dem 19. Jahrhundert

Motor. Das ist abgeleitet als „Täterbe-

zeichnung“ von movere, etwas bewe-

gen. Und motivare ist eine lateinische

Intensiv-Form. Motivation ist also so-

zusagen der Zustand lebhafter Bewe-

gung. Zur Wortfamilie gehört auch

das Motiv. Das ist der Grund oder die

Ursache der Bewegung. Der flotte

Klang des Wortes Motiv brachte es

mit sich, dass man sich kaum daran er-

innern mag, dass Motiv auf gut

Deutsch „Beweggrund” heißt.

Hochmotivierter Mitarbeiter ist oft

kein bequemer Zeitgenosse

Wenn man mit dieser schlichten

Kenntnis nun die heutigen Wort­

bildungen überprüft, kommt man zu

interessanten Aufschlüssen:

Motivationstrainer ist jemand, der

den Zustand lebhafter Bewegung

trainiert

Ein Motivationsgespräch soll uns in

den Zustand lebhafter Bewegung

bringen

Motivationstechnik ist ein Ver-

fahren, das jemanden in lebhafte

Bewegung versetzt

Man ahnt schon, dass der erhoffte

hochmotivierteMitarbeiter, der sich in

lebhaftester Bewegung befindet,

auch nicht gerade ein bequemer Zeit-

genosse sein wird. Soviel immerhin

wissen wir: Der Mensch ist ein Flucht-

tier. Am leichtesten und nachhaltigs-

ten werden wir in Bewegung versetzt,

wenn wir einen Grund zur Flucht

haben. Nur ungern bekennt sich die

Wissenschaft dazu, dass freundliches

Zureden, Streicheleinheiten und das

Vermitteln von Wohlgefühl eher nicht

zu lebhafter Bewegung führen, son-

dern normalerweise viel eher zum

genauen Gegenteil. Deswegen hält

sich die Arbeitspsychologie hier meis-

tens etwas zurück und spricht lieber

über dieMöglichkeiten einermenschen-

freundlichen Beziehung zwischen Vor-

gesetzten und Mitarbeiter. Allerdings

erklärt Fred Edward Fiedler, einer der

führenden Industrie- und Organisa­

tionspsychologendes 20. Jahrhunderts,

ungerührt: Motivation ist die zwangs-

läufige Folge einer auf Leistung aus-

gerichteten Gruppensituation.

Motivation beginnt

mit der Aktivation

Um sich von all den wirren Moti-

vationslehren abzusetzen und den

Weg zum experimentellen Beweis zu

öffnen, sprechen wir heute von Akti-

vation – auf den ersten Blick nur ein

neues Etikett, tatsächlich aber eine

wissenschaftliche Grenzziehung. Das

Experiment beruht auf Beobachtung.

So lässt sich beobachten, dass ein

Spargelstecher – um eine wenig an-

gesehene und mühsame Tätigkeit zu

nennen –, der außer Sichtweite der

anderen Spargelstecher arbeitet,

deutlich langsamer und nachlässiger

vorgeht, als ein anderer, der in einer

Gruppe von vier oder fünf weiteren

Spargelstechern auf dem Feld steht.

Bei nahezu allen Tätigkeiten ist das

ähnlich. Je komplexer eine Tätigkeit

ist, desto schwieriger wird zwar das

Beobachten. Dennoch lässt sich der

Aktivationseffekt der Gruppe sogar

in Forschungstätigkeiten beobachten.

ModerneWissenschaftsorganisationen

nutzen diesen Effekt sogar ganz

gezielt, wenn sie Cluster bilden, inter-

nationale Vergleiche fördern oder

Vereinigungen etablieren.

Fiedler konnte zeigen, dass bereits

die Anwesenheit nur einer einzigen

zweiten Person in ähnlicher Tätigkeit

die Leistung steigert. Jede weitere

Person steigert und stabilisiert die

Leistung – bis dann ab sechs oder

sieben Personen dieser Effekt ins

Gegenteil umschlägt. Die Pro-Kopf-

Leistung einer zwölfköpfigen Gruppe

liegt tatsächlich bei nur etwa 70 Pro-

zent der durchschnittlichen Pro-Kopf-

Leistung einer fünfköpfigen Gruppe.

Wer also isolierte Einzelarbeitsplätze

plant oder Leistungseinheiten von

mehr als sechs oder sieben Mitarbei-

tern, der verzichtet wohl oder übel auf

rund 30 Prozent des tatsächlichen

Leistungspotenzials.

Unter solchen Bedingungen ent-

fällt zwangsläufig das sogenannte

Ranking – beim Einzelarbeitsplatz

mangels Vergleichsmöglichkeiten und

bei der überdimensionierten Gruppe

aufgrund des Überangebotes an Ver-

gleichsmöglichkeiten. Das Leistungs-

potenzial des Mitarbeiters kann man

also nicht ausschöpfen durch gutes

Zureden, durch Feuerlauf oder Nacht-

märsche, sondern allein durch den

richtigen Gruppenzuschnitt, so lautet

die schlichte Erkenntnis. Das Zusam-

menstellen von Leistungseinheiten

liegt nun aber häufig in der Direktions­

befugnis der obersten Leitung.

Wenn die Leistungseinheit sach­

gerecht aufgestellt wurde, ist die

Leistung aber auch noch weiter stei-

gerbar – wenn auch meistens nur um

wenige Prozentpunkte. Diese Zusatz-

steigerung ist die Chance des unmit-

telbaren Leiters, des Vorgesetzten

oder wie immer man den Gruppen-

chef nennen mag. Seine leistungsstei-

gernde Wirkung liegt allein darin,

dass er das Ranking seiner Gruppe er-

leichtern und steuern kann. Er plaka-

tiert die erwünschten Leistungsmerk-

male durch Information und Instruk­

tion. Er setzt sich mit den Ergebnissen

seiner Mitarbeiter auseinander und

bestätigt das Richtige oder bemän-

gelt das Falsche. Er kontrolliert also

und fördert dadurch die natürliche

Bereitschaft der Mitarbeiter einer

nicht zu großen Gruppe, sich mit-

einander zu vergleichen und einen

Rangplatz in der Gruppe zu sichern.

Um Information, Instruktion und

Kontrolle gewährleisten zu können,

kennt er die Tätigkeitsabläufe, hat die

Arbeitsschritte in Ablaufbeschrei-

bungen hinterlegt und weiß deswe-

gen, worauf er achten sollte. Arbeits-

ablaufbeschreibungen sind also ein

wichtiges Instrument. Und dies ist um-

so unverzichtbarer, je komplexer die

Tätigkeiten sind. Sie beschreiben und

definieren alle Haupttätigkeiten der

Mitarbeiter in Schrittfolge, hinsichtlich

der zu beteiligenden Personen/Leis-

tungseinheiten, der Arbeitsmittel und

der Qualitätsmerkmale. Aber auch

hier hat die oberste Leitung allein

das Recht, organisatorische Entschei-

dungen zu treffen – und gegebenen-

falls auch zu delegieren.

Motivation ist ein

Potenzial der Organisation

Viel zu wenige betriebliche Leiter

wissen konkret, was das Wort Organi-

sation eigentlich bedeutet. Das legale

wie auch das illegale Beschaffen wird

als organisieren bezeichnet, genauso

aber das erfolgreiche Planen und

Vorbereiten eines Vorhabens. Die

Mafia wird genauso als Organisation

bezeichnet wie die EDV oder gar der

Vertrieb. Tatsächlich bedeutet Orga-

nisation das „Zusammenstellen von

Menschen zu einer Leistungseinheit“.

Organon ist das Wort für Werkzeug.

Deswegen wurde bereits vor rund

500 Jahren das Wort Organisation be-

nutzt, wenn sich Herrscher aus Men-

schen ein Werkzeug schaffen wollten.

Meist ging es wahrscheinlich um das

Zusammenstellen von Soldaten zu ei-

ner Kampfeinheit. Aber auch imStein-

bruch, auf der Werft oder imHochbau

kannte und nannte man es Organisa-

tion. Man sprach ausdrücklich von der

Kunst der Organisation. Heute ist es

dem Genie der obersten Leitung zu-

zurechnen, wenn sie erkennt, wo das

Erfolgspotenzial Mitarbeiter liegt.

www.maasberatung.de

Rüdiger Maas

Diplompsychologe Rüdiger Maas ist

Geschäftsführer der Maas Beratungsgesell-

schaft mbH in Augsburg und Berlin. Das

Unternehmen bietet professionelle Beratung

für Unternehmen sowie Coaching und

Mediation für Mitarbeiter und Führungskräfte.